Die Wilhelm-Lehmann-Tage 2024 verbinden Kultur und Natur und wollen einen Impuls geben zur Überwindung der immer noch spürbaren Trennung von naturwissenschaftlich-ökologischer und ästhetisch-kultureller Sphäre. Damit setzen sie den kulturökologischen Diskurs der vergangenen Jahre fort und bringen Menschen mit unterschiedlichen Interessenschwerpunkten (Naturwissenschaft – Literatur/Poesie) zusammen und miteinander ins Gespräch.
Die diesjährige Veranstaltung verbindet mehrere Ziele miteinander: zum einen die Literaturvermittlung, indem auf der Halbinsel Schwansen entstandene Gedichte und Prosatexte aus dem „Bukolischen Tagebuch“ von 1927-1932 und 1948 vorgetragen werden. Dabei werden Lehmanns dort gemachte Naturbeobachtungen und –erfahrungen und ihre Literarisierung erkennbar; zum anderen den Aspekt des Umwelt- und Landschaftsschutzes sowie den Heimatgedanken (in einem weltoffenen und weltbürgerlichen Sinn, wie er sowohl von Lehmann als auch von Rautenberg und Ross auf je eigene Weise repräsentiert wird).
Eine Verbindung zu Wilhelm Lehmann ist u.a. seine Aufsatzsammlung „Bewegliche Ordnung“ von 1947. Bei ihrem Erscheinen begründete sie im Nachkriegsdeutschland Lehmanns Rang als Essayist. Der für seine erzählende Prosa 1923 gemeinsam mit Robert Musil mit dem höchsten Literaturpreis der Weimarer Republik, dem Kleist-Preis, ausgezeichnete Eckernförder Studienrat veröffentlichte seit 1936 Essays in überregionalen Zeitungen und Zeitschriften und widmete 1941 einer unscheinbaren Wildblume einen großen Essay: „Bewegliche Ordnung. Bildnis einer Blume“. Darin bestimmt Lehmann das Verhältnis des Menschen zur Natur als eines der Wertschätzung und des Respekts gegenüber allen Naturwesen (zu denen selbstverständlich auch der Mensch selbst gehört). Die Blume, um die es darin geht, ist die Anemone, auch Busch-Windröschen genannt. In Lehmanns Prosa und seinen Gedichten haben die von Meer und Wind geprägte norddeutsche Kulturlandschaft, ihre Pflanzen und Tiere einen besonderen Stellenwert.
Lehmanns Texte erhalten heute, unter dem Eindruck von Artensterben und globalem Klimawandel sowie in der diskursiven Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Lyrik eine neue Aktualität. „Bewegliche Ordnung“ passt auch gut zur Zweiteilung der Lehmann-Tage 2024 als Saalveranstaltung und Exkursion. Dem grundsätzlich beweglichen menschlichen Geist tut körperliche Bewegung gut. Das Aufsuchen von Pflanzen- und Tierhabitaten und Schauplätzen der Dichtung ist dabei erkenntnisfördernd.

In einer moderierten Doppellesung bringen wir eine Lyrikerin, die kürzlich ihren ersten Gedichtband veröffentlichte, mit einem renommierten, vielfach mit Preisen ausgezeichneten Lyriker ins Gespräch. Beide, Anja Ross und Arne Rautenberg, sind als Person und mit ihrem literarischen Werk eng mit Kiel und Schleswig-Holstein, mit der Landschaft und den Menschen an der Ostseeküste verbunden. Wir wollen dabei auch die Beziehung aktueller zeitgenössischer Lyrik zum Werk Wilhelm Lehmanns thematisieren, eines Autors, der mit seinem „Bukolischen Tagebuch“ (aktuell lieferbar in der Reihe „Naturkunden“ des Verlags Matthes & Seitz, auch als Taschenbuchausgabe) und seinen naturkundlich präzisen Gedichten ein Vorläufer des deutschsprachigen Nature Writing ist. 

Diesen Aspekt vertiefend wird am zweiten Tag eine naturkundlich-poetische Exkursion durch die Landschaft Schwansen angeboten – auf den Spuren des „Bukolischen Tagebuchs“ und der dort entstandenen Lyrik Lehmanns. Für die botanischen und ökologischen Erläuterungen konnten wir mit Claus Müller einen engagierten Umweltbiologen, Gründer des Ostsee-Info-Centers und intimen Kenner des „Bukolischen Tagebuchs“ gewinnen. Lehmanns Prosa und Gedichte werden vor Ort von dem Kieler Schauspieler Heiner Kock vorgetragen.

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